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Warum muss ich mir neue Socken anziehen?

Warum muss ich mir neue Socken anziehen?

Hilfsmittel für Menschen mit Demenz

Für Menschen mit Demenzerkrankung gibt es einige Hilfsmittel, um den Alltag in den eigenen vier Wänden zu erleichtern. Unsere Piktogramme sollen dabei unterstützen, dass Menschen mit Demenz einen gewissen Grad an Selbstbestimmung zurückgewinnen können. Indem Piktogramme auf verschlossene Schubladen/Schränken aufgeklebt werden, wissen Menschen mit Demenz, was sich dahinter verbirgt und finden damit wichtige Gegenstände im Haushalt wieder. Neben der Erleichterung der Orientierung im eigenen Wohnumfeld geben die Piktogramme zugleich ein Gefühl von Sicherheit für die Personen mit Demenz. Dies ist ein wesentlicher Faktor für mehr Lebensqualität. 


Ein Perspektivwechsel bei Demenz


Die Perspektive auf die Diagnose Demenz hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Nach heutiger Auffassung wird davon ausgegangen, dass nicht ausschließlich die medizinischen Faktoren wie der Gesundheitszustand Erklärungen für die Verhaltensauffälligkeiten der Person mit Demenz liefern. Das bedürfnisbedingte Verhaltensmodell bei Demenz nennt unter anderem folgende weitere Faktoren für ein ganzheitliches Verständnis [1]:


  • Demografische Variablen (Geschlecht, Bildung, Familienstand, …)
  • Psychosoziale Variablen (Persönlichkeit, Verhalten bei Stress)
  • Physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schmerzen, Schlafstörungen, ...)
  • Psychosoziale Bedürfnisse (Emotionen, fähigkeitsangepasste Unterstützungen)
  • Physikalische Umgebung (Temperatur, Beleuchtung, Geräuschpegel)
  • Soziale Umgebung (Atmosphäre)

Das Verhaltensmodell stellt die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz in den Vordergrund. Orientiert an diesem Modell kann ein „Käse-Piktogramm“ auf dem Kühlschrank die psychosozialen Bedürfnisse wie Sicherheit und physiologische Bedürfnisse wie Hunger, Durst bei Personen mit Demenz befriedigen. 


Das Bedürfnis-Modell mit dem ICF-Modell ergänzen

Menschen mit Demenz befinden sich meist in einem hohen Lebensalter und haben bestimmte Kompetenzen und Fähigkeiten im Laufe ihres Lebens erlernt, um den eigenen Alltag zu gestalten und zu strukturieren. Diese erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten bleiben teilweise erhalten, jedoch können die Menschen mit Demenz diese Ausführungen (zum Beispiel Socken anziehen) nicht im Kontext reflektieren und einordnen. 


„Warum muss ich mir neue Socken anziehen, ich habe doch schon Socken an?!“


Die Nichtbewältigung von alltäglichen Aufgaben (aufgrund fehlender Hilfsmittel, Unterstützungen) kann für Menschen mit Demenz mit Frusterfahrungen einhergehen, die wiederum Einfluss auf das Selbstwirksamkeitserleben der Personen haben. Zum Teil fühlen Menschen mit Demenz diese Frustration, können diese jedoch kontextual nicht einordnen. Für Außenstehende (Angehörige, Pflegende, Freunde) zeigen sich bei Menschen mit Demenz als Folge dieser Ohnmachtserfahrungen starke Stimmungsschwankungen wie Wutausbrüche, Trauer oder Schamgefühl. Die Ursachen für diese negativen Erfahrungen liegen jedoch nicht in der Erkrankung bzw. in der Person selbst, sondern in der Wechselwirkung mit den jeweiligen Anforderungen und Umwelteinflüssen. 

Die WHO hat die Komplexität dieser Wechselwirkungen im sogenannten bio-psychosozialen Modell des ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) dargestellt:



 

(Quelle: World Health Organization (2005). Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit)


Bezogen auf Menschen mit Demenz hat das Gesundheitsproblem (Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses) in Wechselbeziehung direkten Einfluss auf die Aktivitäten, die wiederum in Wechselwirkungen mit anderen Komponenten des ICF-Modells stehen. Das ICF-Modell setzt demnach genau bei diesen drei identifizierten Komponenten an: 

  • Gesundheitsproblem (Demenzerkrankung und die damit einhergehenden Orientierungsprobleme und Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses)
  • Aktivitäten („Ich verstehe nicht, warum ich mir andere Socken anziehen soll“) 
  • Umweltfaktoren (verschlossene Schubladen in der eigenen Wohnung) 
  • Partizipation (fehlende Teilhabe an Gesundheit/Hygiene)

Mit diesen konzeptionellen Gedankengängen im Hintergrund haben wir von Dememo unsere Piktogramme entwickelt, um einen Mehrgewinn an Selbstbestimmung für Menschen mit Demenz zu erreichen.

 

[1] Need-driven, dementia-compromised, behaviour, model, NDB-Modell. Kolanowski Ann M. (1999). An overview of the Need-Driven Dementia-Compromised Behavior Model. Journal of Gerontological Nursing 25(9): 7–9.